Wenn Räume reden könnten
Das alte Gymnasium in Papenburg, ein Gebäude mit unterschiedlichen Funktionen und langer Geschichte am Hauptkanal links Nr. 66 in Papenburg an der EMS, von Thomas Friese, Berlin/Oldenburg
Der Ort Papenburg an der Ems ist die größte Moorkolonie Deutschlands. Die Besiedlung der Gegend war nur möglich, weil die Siedler mittels Kanäle für die Ableitung des Wassers in den Mooren sorgten. Der erste Kanal in der Fehnkolonie Papenburg war passenderweise der Hauptkanal und dort beginnt die Geschichte des Schulgebäudes im Jahre 1851. Bis zu einem Neubau (1959) war die Schule dort untergebracht. Die Obrigkeit war weit weg und die Papenburger hatten es nach schweren Anfangsjahren aufgrund des aufstrebenden Schiffsbaus zu Wohlstand gebracht. So gründeten 1850 vermögende Bürger eine Aktiengesellschaft für die Einrichtung und den Betrieb einer Schule für Bürger. Mit 2111 Reichstalern konnte das Grundstück am Hauptkanal links Nr. 66 erworben werden. Diese Schule galt als Privatschule und nicht einmal den Schulbehörden war ihre Existenz bekannt. Zeitgemäß wurden auf dieser Schule nur Jungs beschult; das erste Mädchen machte in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts Abitur. Die Anfangszeit der Schule war schwierig. Wirtschaftlich erlebten die Papenburger einen beträchtlichen Aufschwung, 1860 erhielt die Stadt vom Hannoverschen Innenministerium die Stadtrechte, die Hannoversche Westbahn nahm 1856 ihren Betrieb auf und Papenburg wurde an das Eisenbahnnetz angeschlossen. 50 Schiffsreedereien und 200 Seeschiffe waren 1866 in Papenburg beheimatet und die Papenburger waren als Seeleute und Kapitäne inzwischen weltweit unterwegs.
Bürgerschule: Schulbildung über die Grundkenntnisse hinaus
Die neue Privatschule bestand aus drei Klassen, als Städtische Höhere Bürgerschule. Ihre Ziele wurden in den „Statuten für die höhere Bürgerschule zu Papenburg“ so formuliert:
“Der Zweck dieser Lehranstalt ist, eine Gelegenheit zur Gewinnung einer weiteren Ausbildung darzubieten, als in unseren Elementarschulen erlangt werden kann. Es sollen darin die Knaben, welche Schiffer werden wollen, in ihren Kenntnissen so weit gefördert werden können, dass sie später durch einjährigen Besuch der Navigationsschule zum Bestehen der Steuermannsprüfung sich befähigen können; diejenigen, welche sich für die Handlung ausbilden wollen, so weit, dass sie Lehrlingsstellen auf guten Comptoirs oder in guten Handlungen antreten; die aber, welche zu den höheren Studien übergehen wollen, auch so weit, dass sie mit dem vollendeten 14. oder 15. Lebensjahr in die mittleren Klassen eines Gymnasiums eintreten können.”
Die Autorin Frau Loose berichtet aus den Schulakten der Zeit über den Zeitsinn wie folgt: „Der Sextaner Cornelius T. hat am letzten Mittwoch einen Mitschüler auf dem Heimweg mit seinem Federmesser verletzt. Für ein so grobes Vergehen würde der Täter von der Schule gejagt worden sein, wenn nicht die Fürbitten des Vaters des mißhandelten Schülers eine Milderung des Urteils der Lehrerconferenz herbeigeführt hätte. T. ist daher verurteilt, heute nachmittag von 12 Uhr bis 8 Uhr abends bei Wasser und Brot eingesperrt zu werden“.
In dieser Zeit traten zwei Männer auf das Parkett, die den Weg der Schule maßgeblich beeinflussten. Emil Russell war schon mit 25 Jahren Bürgermeister in Papenburg geworden und überführte die Schule von Privateigentum in die Hände der Stadt Papenburg. Die Aktionäre begleiteten das offenbar wohlwollend, weil die meisten Aktionäre die Aktien einfach der Stadt schenkten. Umbau und Ausbaumaßnahmen waren die Folge.
Anschauungsunterricht aufgrund der Reisen
Lernen kommt vom Begreifen und im Wort Begreifen steht bekanntlich der Wortstamm “Greifen” Die Kapitäne und Seeleute Papenburgs, die in der Welt zu Hause waren, brachten in das beschauliche Papenburg Anschauungsmaterialien aller Art. Ausgestopfte Vögel und Tiere aus Südamerika, Pflanzen aus Grönland und so weiter und so weiter. Die Schule wuchs weiter. Neue Grundstücke und Gebäude kamen dazu. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts erhielt die Fassade ihre noch heute bestehende Form. Die Nationalsozialisten veränderten das Bild Papenburgs nachhaltig. Viele Braunhemden bevölkerten die Stadt. Das Emsland war Standort einiger großen Konzentrationslager. Seit 1937 konnten Schüler aus der Umgebung in Papenburg zur Schule gehen. Ein Schülerheim wurde gebaut. Ein Riss ging durch die Bevölkerung, die einerseits deutsch dachte und lebte und andererseits christlich-katholisch geprägt war. Lehrer und Schüler kamen und gingen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Schule am Hauptkanal links Nr. 66 zu klein, so dass ein Neubau an der Russellstraße geplant und erstellt wurde. Das Haus ging im Jahre 1959 an die katholische Kirchengemeinde über. Ein Jugendheim entstand und die städtische Bücherei waren dort untergebracht. Heute sind es Ärzte und Geschäftsleute, die den erweiterten Komplex beherbergen. Offenbar passt das Gebäude mit seiner bemerkenswerten Fassade immer noch in das Stadtbild. Das dort einst eine Kapitäns Familie residierte, Visionäre mit Bürgerkraft eine Privatschule errichteten und dann einige Jahre der Naziungeist herrschte ist heute allerdings vergessen.
Der Autor dankt Frau Andrea Loose und Franz Guhe für die umfangreichen Vorarbeiten, die diesen Artikel erst möglich gemacht haben.
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Der Immobilienexperte und Projektentwickler Thomas Friese, Berlin/ Oldenburg (Niedersachsen) ist einer Ausbildung im steuerlichen Bereich seit Mitte der siebziger Jahre im Bereich Immobilienentwicklung und Vermarktung tätig.
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