“Schulden? Was soll ich tun?” Der Gang zur Schuldnerberatung
Kurz vor der Insolvenz. Was tun? Across Borders With Information – ABOWI fragt Johann Tillich, Vorstand des Verein für Existenzgründung e. V. in Karlsfeld / München, als Experte zur Schuldnerberatung.
In Deutschland versinken mehr Menschen in ihren Schulden. Im Jahr 2020 glaubten fast 17 Prozent der Deutschen mit Zahlungsschwierigkeiten zu hadern. Mehr als die Jahre zuvor. Doch was tun, wenn der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht und Banken und Gläubiger Druck machen. Viele Menschen geraten in Panik und fürchten nie wieder ein normales Leben führen zu können. Hilfe erfahren Betroffene durch Schuldnerberatungsstellen und Verschuldete erkennen, dass ein Neuanfang möglich ist. Langjährige Erfahrungen von etablierten Schuldnerberatungsstellen weisen darauf hin, dass der Gang zu einem Berater Verbrauchern und Unternehmen aus Gründen wie Stolz oder Scham sehr schwer fällt. Aber warum der Gang zu Schuldnerberatern besonders als Vorsorge der richtige Weg ist, fragen und erklären wir mit Schuldnerberater Johann Tillich aus München.
Im Gespräch erläutert der erfahrene Schuldnerberater Herr Johann Tillich aus seiner langjährigen Praxis, wie er Betroffene Schritt für Schritt Möglichkeiten für den Weg zurück ins wirtschaftliche Leben aufzeigt. Johann Tillich, Vorstand des Vereins für Existenzgründung in Karlsfeld hilft Menschen und Unternehmen wieder das Ruder in die Hand zu nehmen und nicht in den Schulden zu ertrinken. Zudem ist Herr Tillich staatlich geprüfter Anlage- und Vermögensberater, Schöffe in mehreren Gerichten, Treuhänder für Insolvenzverfahren und Autor für Fachbücher.
Wir suchen Antworten: Welche Wege gibt es aus den Schulden? Welche Unterschiede zwischen den Insolvenzen? Wann wird es Zeit sich an eine Beratungsstelle, wie die von Herrn Tillich zu wenden?
Josefine Schulte: Hallo Herr Johann Tillich, bitte stellen Sie sich und Ihr Tun kurz vor.
Johann Tillich: Guten Tag, mein Name ist Johann Tillich und ich bin Vorstand des Vereins für Existenzsicherung e.V. (VfE) aus Karlsfeld bei München. Wir sind seit einiger Zeit auch in Berlin vertreten. Wir helfen Menschen durch eine Schuldnerberatung seit über 30 Jahren, haben mittlerweile über 4.000 Vergleichsverhandlungen geführt, im Thema Steuersparmodelle und seit 1999 kümmern wir uns hauptsächlich um Verbraucher und Regelinsolvenzen für Verbraucher und für Firmen.
Josefine Schulte: Warum melden sich Menschen bei Ihnen?
Johann Tillich: Zum einen haben wir Verbraucher, die gerade in der heutigen Pandemie wurden viele arbeitslos oder sind in Kurzarbeit und können jetzt durch das geringere Einkommen ihre Raten nicht bezahlen. Also, die Banken und die Gläubige machen Druck auf die Leute. Es gibt zwei Wege.
- Den Kopf in den Sand zu stecken oder
- sich an eine professionelle Schuldnerberatung zu wenden, die ihnen helfen kann.
Heute gibt jetzt die Möglichkeit, Vergleiche auszuhandeln, auch mit den Banken oder auch mit den Gläubigern, falls nur eine kurze Durchstecke besteht oder im schlimmsten Fall die Insolvenz vorzubereiten und durchzuführen. Bei Firmen ist es so, dass genauso Firmen Probleme kriegen, aufgrund der Pandemie in die Schulden rutschen, weil diese keine Einnahmen mehr haben.
Bei GmbHs ist es sehr wichtig die Frist zur Insolvenzanmeldung nicht zu versäumen, sonst macht man sich strafbar. Bei Einzelfirmen gibt es diese Frist nicht und diese Firmen machen sich nicht strafbar. Sondern es ist wichtig, die Insolvenz zu begleiten. Außerdem treten die meisten Probleme nach dem einreichen der Insolvenz oder sobald der Insolvenzverwalter sich meldet ein. Auch hier unterstützen wir die Menschen während der gesamten Zeit der Insolvenz .
Josefine Schulte: Wann wird es nötig, eine Beratung aufzusuchen?
Johann Tillich: Frühzeitig, wenn man merkt, dass es irgendwo klemmt. In diesem Augenblick sollte man eine Schuldnerberatungsstelle aufzusuchen. Dann haben wir noch die Möglichkeiten zu helfen. Werden wir erst aufgesucht, wenn der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht und die Schufa zerschossen wurde, wird es es schwieriger. Vergleichbar mit der Medizin. Am besten besucht man seinen Arzt oder Ärztin zur Vorsorge und nicht zur Nachsorge.
Viele Schäden lassen sich durch eine frühe Beratung vermeiden. Also raten wir immer dazu, keine Scheu vor einer Schuldnerberatung. Es kann nur besser werden.
Josefine Schulte: Ihre Spezialgebiete sind Verbraucher- und Regelinsolvenz. Was verbirgt sich hinter diesen beiden Begriffen?
Johann Tillich: Die Verbraucherinsolvenz hat den Vorteil, dass unser Kunde alle Gläubiger von uns anschreiben lassen kann. Wir übernehmen das gesamte Verfahren und reichen den Insolvenzantrag bei Gericht ein. Das Verfahren, da wir keine Wartezeiten haben, dauert circa sechs bis zwölf Wochen. Danach ist Kunde insolvent, hat ab diesem Zeitpunkt nichts mit den Gläubigern zu tun. Ab diesem Zeitpunkt kümmert sich der Insolvenzverwalter um alle weiteren Vorgänge und nach drei Jahren ist der Verschuldete schuldenfrei.
Bei Firmen läuft es ein bisschen anders. Es werden keine Gläubiger angeschriebe, sondern die Gläubiger werden einfach in einer Tabelle aufgenommen. Und der Insolvenzantrag wird der Gericht eingereicht, das kann teilweise in zwei bis drei Wochen schon erfolgen. Wichtig ist natürlich, es gibt auch karitative Schuldnerberatungsstellen, die Firmen nicht bearbeiten dürfen. Firmen sind darauf angewiesen entweder zum Rechtsanwalt zu gehen oder zu einer professionellen Schuldnerberatungsstelle, die meistens auch günstig arbeiten können.
Josefine Schulte: Was für ein Beratungs Unterschied ergibt sich zwischen einem gemeinnützigen Verein wie der IFC, karitativen Stellen oder das Aufsuchen eines Rechtsanwalts?
Johann Tillich: Karitativen Stellen arbeiten nicht umsonst, wie oft behauptet wird. Diese Stellen werden vom Staat finanziert und jeder Steuerzahler finanziert diese. Wir bekommen kein Geld vom Staat, sondern wir müssen die Gebühren verlangen, die sich an der Beratungshilfe der Gerichte orientiert, d.h. wir beginnen bei 500 Euro bei wenigen Gläubigern. Die höchste Anzahl an Gläubigern bei uns waren 186. Bei so einer hohen Zahl muss man mit bis zu 1500 Euro rechnen. Im Gegensatz zu anwaltlichen Beratung, die sich an der Gebührenordnung der Anwälte orientiert und dann auch zwischen 8000 bis 10000 Euro kosten kann. Deswegen immer, vorher nach den Kosten zu fragen.
Da kämpft man auf der Seite der Leute auch für unsere Mandanten.
Josefine Schulte: Was ist Ihr klassischer Fall in der Schuldnerberatung?
Johann Tillich: Der klassische Fall ist der Verbraucher, der zu uns kommt. Es gibt viele Verbraucher, die kaufen über Leihen, Darlehen, Einkauf ohne Zinsen, Zinslose bei Baumärkten oder Möbelmärkten etc. Viele kleine Raten ergeben irgendwann eine große Ratte und die Leute verlieren den Überblick. Dann ist es sinnvoll, zu prüfen, ob man aus diesen vielen kleinen Raten eine große Ratte machen kann, um Schulden auf eine Bank zu erzielen. Unser erstes Ziel ist immer die Insolvenzvermeidung. Wir kämpfen auf der Seite unserer Mandanten und meistens schaffen wir das auch. Ich sage immer, der schlimmste Fall für einen Kunden ist immer die Insolvenz. Nach den drei Jahren der Insolvenz steht diese auch noch für drei weitere Jahre in der Schufa. Der Kunde ist sechs Jahre gesperrt. Das versuchen wir immer zu vermeiden.
Josefine Schulte: Aus Ihrer Erfahrung gibt es eine gesellschaftliche Gruppe, die besonders betroffen ist?
Johann Tillich: Es beginnt bei Jugendlichen aber hauptsächlich geht es 28 bis 30 Jahren los und geht natürlich auch bis zu 60 und 70. Vielleicht läuft ein Darlehen zur Hausfinanzierung und die Rente reicht bei einer Waschmaschinenreparatur nicht mehr. Dann kann es passieren, dass auch jeder in die Notlage kommt. Jeder in Deutschland kann betroffen sein.
Josefine Schulte: Wie schaffen Sie es, mit der seelischen Belastung umzugehen?
Johann Tillich: Es ist schwer. Natürlich trifft es mich auch persönlich, weil wir so investiert in unsere Kunden sind und auch oft sehr für unsere Kunden kämpfen. Nach 35 Jahren ist es mir persönlich gelungen berufliches und privates zu trennen.
Johann Tillich herzlichen Dank für die aussagekräftigen Antworten und dass er sich die Zeit für dieses Interview genommen hat.
V.i.S.d.P.:
Josefine Antonia Schulte
Studentin & Bloggerin ABOWI
Über ABOWI:
Across Borders With Information – ABOWI, eine Interviewreihe von Josefine Antonia Schulte, Jurastudentin aus Berlin in Deutschland. Fragen und Antworten: Eine virtuelle Reise um die Welt, um die Unterschiede und Vorurteile aufzudecken. Auf Fragen weltweit Antworten finden, dass ist unser Ziel. Josefine Antonia Schulte fragt sich von Aserbaidschan bis Zypern durch.
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