ABOWI besucht die „wilde Schönheit“ Ukraine

Ein Gespräch mit der ukrainischen Anwältin Oksana Kuzyk über Gleichberechtigung im Rechtsbereich und ukrainische kulturelle Gepflogenheiten – von Josefine Antonia Schulte, ABOWI „Across Borders With Information“ aus Berlin / Deutschland

ABOWIs virtuelle Reise führt mich in das osteuropäische Land Ukraine. Mit dem zweitgrößten Staatsgebiet Europas, aber nur 44 Millionen Einwohnern ein faszinierendes Land der Tradition und des Wandels.

Das Projekt ABOWI hat zum Ziel, 197 Juristen aus allen Ländern der Welt zu interviewen. Der Name steht für „Across Borders With Information“ und fasst die Metapher zusammen, mit Informationen Brücken zu bauen. Vorurteile überwinden oder einfach nur von erfahrenen internationalen Anwälten über Globalisierung und internationale Verflechtungen weltweit lernen. Die Ukraine hat aufgrund ihrer wichtigen geopolitischen Lage eine Brückenfunktion zwischen Europa und Asien. Die Unabhängigkeit der Ukraine jährt sich in diesem Jahr zum 30. Mal, ein beachtlicher Wandel in einer so kurzen Zeit. Vor allem der Verfassungsreformprozess hat in den letzten Jahren Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union (EU) oder dem Internationalen Währungsfonds (IWF) in Arbeit gehabt und die Ukraine in ihrem Transformationsprozess unterstützt.

Oksana Kuzyk ist Chefjuristin der Company Agroprod Service (http://agroprodservice.com.ua/en), einem der größten landwirtschaftlichen Dienstleister der Ukraine, mit Sitz in Ternopil, Ukraine. Das zeigt, wie vielfältig die Karrieremöglichkeiten mit einem Jurastudium sind. Dies empfinde ich als Jurastudentin selbst ein Ansporn für die Zukunft.

Josefine A. Schulte: Bitte stellen Sie sich kurz vor mit Name, Alter, Herkunft und wie lange üben Sie den Beruf des Juristen aus?

Oksana Kuzyk: Ich bin Oksana Kuzyk, 41 Jahre alt, Ukrainerin und übe den Beruf der Rechtsanwältin seit 19 Jahren aus.

Josefine A. Schulte: Was hat Sie dazu bewogen, überhaupt Anwältin zu werden oder hat Ihr Lebensland vielleicht etwas damit zu tun?

Oksana Kuzyk: Mein Interesse an dem Beruf kommt aus meiner Kindheit. Ich habe viel gelesen, auch juristische Literatur. Außerdem war ich immer begeistert davon, Probleme unter Gleichaltrigen zu lösen. Schon als Kind habe ich versucht, sie davon zu überzeugen, dass es effektiver ist, Probleme mit Worten statt mit Gewalt zu lösen. Das war dann auch der Grund, warum der Beruf des Rechtsanwalts für mich in Frage kam.

Josefine A. Schulte: Was ist Ihr Fachgebiet?

Oksana Kuzyk: Ich spezialisiere mich auf den Management-, Verwaltungs- und Zivilrechtsverkehr. Aber in der Ukraine ist es für die Ausübung der Anwaltstätigkeit obligatorisch, alle Zweige der Gesetzgebung zu beherrschen, deshalb muss ich meine Kenntnisse in anderen Zweigen ständig verbessern.

Josefine A. Schulte: Wie ist die gesellschaftliche Anerkennung einer juristischen Karriere in der Ukraine? (In Deutschland z.B. ist die gesellschaftliche Anerkennung gerade für Menschen ohne Berührungspunkte mit Juristen recht hoch. Es gibt sicherlich ein Stereotyp des überlegenen und reichen Anwalts).

Oksana Kuzyk: Menschen, die einen juristischen Beruf ausüben, genießen in der Regel Autorität und Respekt von der Gesellschaft, da juristisches Wissen für andere Berufe notwendig ist, z.B. für eine Karriere in der öffentlichen Verwaltung, es ist auch für die Lösung der meisten Probleme unerlässlich, da sie juristische Beratung erfordern.

Josefine A. Schulte: Wie gestaltet sich das gesellschaftliche Rechtsempfinden in der Ukraine?

Oksana Kuzyk: Historisch gesehen ist das gesellschaftliche Rechtsempfinden in der Ukraine angespannt. Dies ist besonders in den letzten Jahren mit der Entwicklung der ukrainischen Zivilgesellschaft zu beobachten.

Josefine A. Schulte: Mit welchen Herausforderungen sind Sie als Anwältin tagtäglich konfrontiert?

Oksana Kuzyk: Wenn man das Wesen der Arbeit eines Anwalts kurz zusammenfassen würde, würde es in etwa so aussehen: in kürzester Zeit müssen wir das bestehende Problem studieren, alle relevanten Dokumentationen studieren und die Lösung für das Gesamtbild finden. Das macht mir keine Angst, denn die tägliche Arbeit macht einen nur ausdauernder und eröffnet neue Möglichkeiten. Leider verstehen viele in der Ukraine nicht, wie viel Arbeit ein Rechtsanwalt vom Beginn eines Mandats bis zum Abschluss des Falles leistet. Viele nehmen an, dass es alles friedliche und entlastende Arbeit ist, obwohl sie in Wirklichkeit auf eine breite Auswahl von Problemen stoßen. Aufgrund meiner Fachkenntnisse stoße ich meistens auf Probleme bei der Erfüllung der Geschäftstätigkeit. Die Realität diktiert Regeln, nach denen man spielen muss, und um auf dem Markt zu bleiben, ist es notwendig, sich anzupassen. Für jedes Unternehmen ist die Arbeit mit Kunden ein wichtiger Teil seiner Existenz. Daher ist es unerlässlich, dass der Prozess der Zusammenarbeit von einem Anwalt kompetent gestaltet wird, da der Erfolg und die zukünftigen Beziehungen davon abhängen.

Josefine A. Schulte: Sie sind Anwalt in der Ukraine, leben aber gleichzeitig in einer globalisierten Welt. Wie ist denn die Zusammenarbeit mit Anwälten und Mandanten außerhalb der Ukraine?

Oksana Kuzyk: Ja. Normalerweise ist diese Art der Zusammenarbeit mit der Lösung von Rechtsfragen eines ausländischen Mandanten in der Ukraine verbunden. Persönlich habe ich mit ausländischen Mandanten als Teilnehmer an Außenhandelsverträgen zwischen ukrainischen juristischen Personen und ausländischen Unternehmen zu tun.

Josefine A. Schulte: Wie sehr sind Sie als weibliche Juristin in einem recht konservativen Land mit Vorurteilen konfrontiert?

Oksana Kuzyk: In der Ukraine habe ich als Anwältin nie Vorurteile erlebt. Frauen haben sich längst als fähig erwiesen, die prestigeträchtigsten Rollen in der Jurisprudenz erfolgreich zu übernehmen. Insgesamt kann ich positiv sagen, dass es in der Ukraine unter den juristischen Berufen eine Gleichberechtigung der Geschlechter gibt.

Josefine A. Schulte: Wie international aufgestellt sind die Juristen in Ihrem Land, was die Sprache betrifft?

Oksana Kuzyk: Die Arbeit als Anwalt auf internationaler Ebene erfordert die Fähigkeit, Dokumente in Fremdsprachen wie Französisch oder Englisch in den Situationen internationaler Prozesse vorzubereiten. Noch wichtiger ist, dass die Kenntnisse der Fremdsprache auf einem professionellen Niveau sein müssen. Das ist der Grund, warum die meisten Vorbereitungen von Dokumenten für diese Art der Zusammenarbeit die Dienstleistung eines Übersetzers erfordern, da die meisten ukrainischen Juristen nicht über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen.

Josefine A. Schulte: Wie hoch ist Ihrer Erfahrung nach die Nachfrage nach internationalen Fällen und Mandanten?

Oksana Kuzyk: Die Nachfrage von internationalen Mandanten ist nicht hoch. In den letzten Jahren beobachten wir jedoch einen Aufwärtstrend bei der Anzahl der Fälle, die die Beteiligung internationaler Mandanten beinhalten.

Josefine A. Schulte: Welche Art von Rechtsberatung ist bei Ihren internationalen Mandanten besonders gefragt?

Oksana Kuzyk: Internationale Mandanten benötigen in der Regel eine Beratung bezüglich ihrer Beteiligung an ukrainischen juristischen Personen. Wie z.B. die Gründung von juristischen Personen, den Erwerb von Gesellschaftsrechten und andere rechtliche Unterstützung bezüglich der Tätigkeit von Nicht-Residenten auf dem Territorium der Ukraine.

Josefine A. Schulte: Es gibt ein Vorurteil, dass die Pressefreiheit immer noch von der Oligarchie kontrolliert wird. Was ist eigentlich dran am Mythos der mächtigen ukrainischen Oligarchen?

Oksana Kuzyk: Meiner Meinung nach widerlegt eine große Anzahl von Massenmedienplattformen, sowohl gedruckt als auch digital, in der Provinz und landesweit, diese Behauptung.

Josefine A. Schulte: Eine weitere verbreitete Meinung befasst das Thema Korruption im ukrainischen Justizsystem? Passt das in die Zeit des 21. Jahrhunderts? Oder ist dies ein verblassendes Vorurteil aus der Vergangenheit?

Oksana Kuzyk: In den letzten Jahren haben die ukrainischen Massenmedien von Zeit zu Zeit über offene Fälle berichtet, die auf Bestechung seitens der Strafverfolgungsbehörden, einschließlich der Gerichtsmitarbeiter, zurückzuführen sind. Dennoch führt nur ein sehr kleiner Teil dieser Fälle zu einer Strafverfolgung. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass die hohe Anzahl von uneindeutigen Gerichtsentscheidungen, die in der Regel auf die Anwendung unterschiedlicher Gesetze zurückzuführen ist, als Beweis für die bestehende Korruption im ukrainischen Justizsystem dienen kann.

Josefine Antonia Schulte, Studentin Rechtswissenschaften aus Berlin Ich danke meiner Interviewpartnerin Oksana Kuzyk für das interessante und offene Gespräch. Die täglichen Herausforderungen von Oksana Kuzyk erinnern mich an die, mit denen andere internationale Anwälte konfrontiert waren. Ein Muster der schwierigen Kommunikation zwischen der Menge an Arbeit, dem Zeitdruck und den Anforderungen der Mandanten. Inspirierend an Oksana Kuzyk ist, dass sie dies als eine Herausforderung sieht, die neue Horizonte eröffnet und ihre Methoden nur verbessert. Unerwartet, aber großartig, aufgrund meiner Vorurteile, fand ich, dass es im Bereich des Rechts Gleichberechtigung zwischen männlichen und weiblichen Anwälten gibt. Ähnlich wie in Deutschland. Oksana Kuzyks Inspiration, Anwältin zu werden, ist bewundernswert und der Ansatz, Konflikte mit Worten zu lösen, muss für eine friedlichere Welt wachsen und bestehen bleiben.

„Der Einfachheit halber wird im gesamten Text die männliche Form verwendet; die […] weibliche Form ist selbstverständlich eingeschlossen“.

V.i.S.d.P.:

stud. iur. Josefine Antonia Schulte
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Über ABOWI:
Across Borders With Information – ABOWI, eine Interviewreihe von Josefine Schulte Jurastudentin aus Berlin in Deutschland. Fragen und Antworten: Eine Reise um die Welt, die Unterschiede und Vorurteile aufdeckt. Was bewegt die Anwälte dieser Erde, Josefine Schulte fragt sich von Aserbaidschan bis Zypern durch.

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